Krankmeldung nach Kündigung - Was tun, wenn der Arbeitgeber den Lohn einbehält?
17. Juni 2024 | von Ole M. HammerGeht die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses mit einer Krankmeldung einher, führt dies oftmals bei der Arbeitgeberin zu einem faden Beigeschmack. Das passiert insbesondere dann, wenn die Arbeitsunfähigkeit passgenau zur Kündigungsfrist ist.
Schnell kommt arbeitgeberseitig der Gedanke auf, dass die vorgelegte Krankmeldung vorgeschoben ist. Das Bundesarbeitsgericht widmete sich genau dieser Frage: Was sind die Voraussetzungen, eine solche Krankmeldung infrage zu stellen?
Darf der Arbeitgeber in diesem Fall den Lohn nach Kündigung einbehalten? Was tun, wenn der Arbeitgeber den Beweiswert der Krankmeldung als erschüttert betrachtet?
Vielleicht sind Sie sogar von ausbleibender Entgeltfortzahlung nach Kündigung betroffen.
Wir erklären Ihnen die Hintergründe und Möglichkeiten und geben Ihnen mit unserer Expertise eine erste Orientierung.
Das erwartet Sie:
- Die Grundlagen - Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall
- Zweifel an der Krankmeldung - Hier sind Sie berechtigt
- Die Krankmeldung wird akzeptiert - aber trotzdem nicht gezahlt?
- Der spezielle Fall - Lohneinbehalt bei Arbeitsunfähigkeit nach Kündigung
- Was tun bei Streitigkeiten - Wie ein Anwalt für Arbeitsrecht unterstützen kann
- Fazit
- FAQ's
1. Die Grundlagen - Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall
Sollten Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkranken, erhalten sie gemäß § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz für eine Dauer von bis zu 6 Wochen ihren vollen Lohn.
Merke: Durch das bloße Vorlegen einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wird grundsätzlich der Beweis über eine Erkrankung erbracht, womit der Ihnen als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer auferlegten Darlegungs- und Beweislast nach den allgemeinen Grundsätzen Genüge getan ist (vgl. BAG, Urt. v. 11.12.2019 - 5 AZR 505/18).
Grundsätzlich gilt das auch bei erfolgter Kündigung. Dabei ist es unerheblich, ob Sie als Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis gekündigt haben oder von Ihrem Arbeitgeber gekündigt wurden.
Wir betreuen jedoch immer wieder Mandanten, deren Gehalt bei Arbeitsunfähigkeit und gleichzeitiger Kündigung nicht fortgezahlt wird. Die Arbeitgeber berufen sich in diesen Fällen darauf, dass der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert sei oder behaupten den Fortsetzungszusammenhang. Ist das berechtigt?
2. Zweifel an der Krankmeldung - Hier sind Sie berechtigt
Wann generell Zweifel an einer vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung angebracht sind, kann richtungsweisend u.a. den Indizien des § 275 Abs. 1a SGB V entnommen werden.
Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn
- die Arbeitsunfähigkeit auffällig häufig oder auffällig häufig nur für kurze Dauer besteht
- regelmäßige Bescheinigungen der Arbeitsunfähigkeit zum Ende des Urlaubs eingereicht werden
- der Beginn der Arbeitsunfähigkeit häufig auf einen Arbeitstag am Beginn oder auf das Ende einer Woche fällt
- sie auf innerbetriebliche Differenzen folgt
- rückwirkende Bescheinigungen oder dauerhafte Bescheinigungen der Arbeitsunfähigkeit eingereicht werden oder wenn
- die Arbeitsunfähigkeit von einer Ärztin oder einem Arzt festgestellt worden ist, die oder der durch die Häufigkeit der ausgestellten Bescheinigungen über Arbeitsunfähigkeit auffällig geworden ist.
Aber Achtung: Diese Indizien sind nicht abschließend, da es andernfalls nahezu unmöglich wäre, gegen einen Missbrauch der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall vorzugehen, wenn die aufgeführten Fälle nicht greifen.
Die gesetzlichen Krankenkassen können zur Beseitigung von Zweifeln an einer Arbeitsunfähigkeit verpflichtet sein, eine gutachtliche Stellungnahme durch den Medizinischen Dienst einzuholen (§ 275 Abs. 1 Nr. 3 SGB V).
Sollte der Arbeitgeber also Zweifel an der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung haben, steht es ihm frei, durch die Krankenkasse eine gutachterliche Stellungnahme des medizinischen Dienstes einholen zu lassen. Sollte sich die medizinische Notwendigkeit aus den der Krankenkasse vorliegenden ärztlichen Untersuchungsunterlagen ergeben, kann diese von der Beauftragung des medizinischen Dienstes absehen.
Übrigens gehört es nicht zu den Aufgaben eines Betriebsarztes, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von Arbeitnehmern auf medizinische Notwendigkeit zu prüfen.
3. Die Krankmeldung wird akzeptiert - aber trotzdem nicht gezahlt?
Selbst wenn der Arbeitgeber die Krankheit akzeptiert, kann trotzdem keine Pflicht zur Entgeltfortzahlung bestehen. Dies ist bei einem Fortsetzungszusammenhang der Fall.
Denn nach § 3 Abs. 1 S. 2 EntFG muss die Arbeitgeberin nur einmal für 6 Wochen wegen Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit Entgeltfortzahlung leisten. Wird man mehrfach infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig, spricht man von einem Fortsetzungszusammenhang zwischen diesen Arbeitsunfähigkeitszeiten. Dann hat man nur für insgesamt 6 Wochen Anspruch auf Entgeltfortzahlung und danach nur auf Krankengeld.
Dies gilt jedoch nicht, wenn man vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig war oder seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit zwölf Monate vergangen sind.
Dabei folgt aus der Formulierung des § 3 Abs. 1 S. EntFG, dass man als Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerin beweisen muss, dass die Erkrankungen innerhalb von 6 Monaten nach dem Ende der ersten Erkrankung oder innerhalb von 12 Monaten ab Beginn der ersten Erkrankung nicht in einem Fortsetzungszusammenhang stehen. Hier muss der Arbeitgeber also erst gar nicht den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern - die Krankheit gilt als bewiesen, den Ausschluss durch eine Fortsetzungszusammenhang mit einer vorherigen Erkrankung muss man jedoch spätestens nach Aufforderung des Arbeitgebers stets beweisen.
Haben Sie offene Fragen zum Thema? Kontaktieren Sie uns gerne telefonisch unter 05121 / 20 80 90 oder per E-Mail an info@hammer-rechtsanwaelte.de
4. Der spezielle Fall - Lohneinbehalt bei Arbeitsunfähigkeit nach Kündigung
Sobald die Arbeitsunfähigkeit mit Ausspruch einer Kündigung einhergeht, steigt das Misstrauen des Arbeitgebers entsprechend. Tatsächlich zählt diese Kausalität auch zu den Fällen für begründete Zweifel.
Heißt das, Sie sollten sich bei Krankheit und Kündigung besser nicht arbeitsunfähig melden? Droht Ihnen dann Entgeltkürzung?
Wir schauen uns konkrete Beispiele, in denen der Arbeitgeber jeweils den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als erschüttert ansah und die Entgeltzahlungen einstellte:
Fall 1
Eine Arbeitnehmerin war vom 28. August 2018 bis zum 22. Februar 2019 angestellt.
Am 8. Februar 2019 teilte sie gegenüber einem Kollegen mit, dass sie nicht zur Arbeit erscheinen werde. Sie reichte am 8. Februar 2019 ihre Kündigung zum 22. Februar 2019 und eine auf den 8. Februar 2019 datierte ärztliche Erstbescheinigung über eine voraussichtlich vom 8. bis zum 22. Februar 2019 bestehende Arbeitsunfähigkeit ein (BAG, Urt. v. 8.9.2021 - 5 AZR 149/21).
Fall 2
Der Arbeitnehmer war vom 16. Januar 2020 bis zum 30. September 2020 beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund fristgemäßer Kündigung des Arbeitgebers vom 1. September 2020. Er arbeitete noch bis zum 4. September 2020 für den Arbeitgeber. Für die Zeit vom 7. September 2020 bis zum 30. September 2020 legte er zwei Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen mit unterschiedlichen Diagnosen vor (vgl. BAG, Urt. v. 28.6.2023 - 5 AZR 335/22).
Fall 3
Der Mitarbeiter, beschäftigt seit März 2021, wurde seitens des Arbeitgebers seit dem 21. April 2022 nicht mehr eingesetzt. Er legte am 2. Mai 2022 eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom selben Tag für die Zeit vom 2. bis zum 6. Mai 2022 vor. Mit am 3. Mai 2022 zugegangener Kündigung, beendet der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis zum 31. Mai 2022. Der Mitarbeiter reichte aufeinanderfolgende Krankmeldungen unterschiedlicher Diagnosen bis zum 31.Mai 2022 ein. Ab dem 01. Juni nahm er eine neue Beschäftigung auf (BAG, Urteil vom 13.12.2023 - 5 AZR 137/23).
Ob der Arbeitgeber den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern kann, ist tatsächlich den individuellen Umständen geschuldet und wird im Einzelfall gerichtlich bewertet. Die genannten Fälle zeigen auf, wann mit einer Erschütterung des Beweiswertes einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu rechnen sein könnte. Die Klagen wurden jeweils zugelassen, der Lohn musste in diesen individuellen Fällen jedoch gezahlt werden.
Es bleibt festzuhalten, dass sowohl Schilderungen bzw. Aussagen der oder des Erkrankten (vgl. BAG, Urt. v. 8.9.2021 - 5 AZR 149/21) oder auch Verstöße der ausstellenden Ärztin bzw. des ausstellenden Arztes gegen die Vorgaben der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie (vgl. BAG, Urt. v. 28.6.2023 - - 5 AZR 335/22) maßgeblich für Zweifel sein können.
Ebenso kann der Beweiswert erschüttert sein, wenn der arbeitsunfähige Arbeitnehmer nach Zugang der Kündigung eine oder mehrere Folgebescheinigungen vorlegt, die passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfassen. Gleiches gilt, wenn der Arbeitnehmer unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufnimmt (BAG, Urteil vom 13.12.2023 - 5 AZR 137/23) oder wenn ein Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis kündigt, er am Tag der Kündigung arbeitsunfähig krankgeschrieben wird und die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst (Urteil vom 08.09.2021 – 5 AZR 149/21).
5. Was tun bei Streitigkeiten - Wie ein Anwalt für Arbeitsrecht unterstützen kann
Häufig ist unseren Mandanten nicht bewusst, warum der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung im Falle einer Arbeitsunfähigkeit während der Kündigungsfrist nicht fortsetzt. In der Praxis sehen Arbeitgeber den Anscheinsbeweis der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als schnell erschüttert an.
In einem gerichtlichen Verfahren stellt eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein Beweismittel wie jedes andere dar, so dass der durch sie bescheinigte Inhalt durch andere Beweismittel widerlegt werden kann (vgl. BSG, Urt. v. 8.11.2005 - B 1 KR 18/04 R).
Unsere Aufgabe als Fachanwälte für Arbeitsrecht ist es also, Sie als Arbeitnehmer zu den möglichen Folgen einer Krankmeldung während der Kündigungsfrist zu beraten. Wir erläutern Ihnen die aktuelle Rechtsprechung und beraten Sie, wie mögliche Stolperfallen vermieden werden können.
Sollte Ihr Arbeitgeber aufgrund der Krankmeldung den Lohn nach Kündigung einbehalten, weil er deren Beweiswert erschüttert sieht, vertreten wir Sie im Gerichtsverfahren.
Bestenfalls einigen Sie sich mit Ihrem Arbeitgeber außergerichtlich. Mit unserer Expertise formulieren wir Ihnen das passende anwaltliche Aufforderungsschreiben und beraten Sie, ob im individuellen Fall ein ausführlicher Arztbrief beigelegt werden sollte.
Ein besonderer Hinweis: Es gibt kein generelles Vorgehen, jeder Fall ist individuell. Lassen Sie sich bitte anwaltlich beraten.
6. Fazit
- Arbeitnehmer erhalten bei Krankheit bis zu 6 Wochen Lohnfortzahlung.
- Grundsätzlich gilt: Vorlage einer Krankmeldung erfüllt zunächst die Beweislast.
- Beendigung eines Arbeitsverhältnisses mit gleichzeitiger Krankmeldung führt oft zu Misstrauen seitens des Arbeitgebers.
- Arbeitgeber vermuten, dass die Krankmeldung vorgeschoben ist.
- Indizien für Zweifel u.a. gem. § 275 Abs. 1a SGB V (z.B. häufige/kurzfristige Krankschreibungen, Krankschreibung nach Urlaub).
- Gerichtliche Einzelfallbewertung ist entscheidend.
- Anwälte für Arbeitsrecht beraten zu möglichen Folgen und Stolperfallen, unterstützen bei außergerichtlicher Einigung und vertreten bei gerichtlichen Verfahren.
7. FAQ's
Ist eine Krankmeldung während der Kündigung grundsätzlich zulässig?
Ja, Arbeitnehmer können sich auch während der Kündigungsfrist krank melden und haben grundsätzlich Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
Unter welchen Umständen kann ein Arbeitgeber den Beweiswert der Krankmeldung anzweifeln?
Zweifel können bspw. aufkommen, wenn die Arbeitsunfähigkeit passgenau zum Kündigungszeitraum datiert ist oder vorab angekündigt wird.
Welche Rechte hat ein Arbeitnehmer, wenn der Arbeitgeber den Lohn aufgrund der angezweifelten Krankmeldung einbehält?
Der Arbeitnehmer kann rechtliche Schritte einleiten und sich von einem Fachanwalt für Arbeitsrecht vertreten lassen, um den Anspruch auf Entgeltfortzahlung durchzusetzen.
Wie kann ein Anwalt für Arbeitsrecht bei Streitigkeiten über Krankmeldungen helfen?
Ein Anwalt kann den Arbeitnehmer über die aktuelle Rechtsprechung informieren, bei der außergerichtlichen Einigung mit dem Arbeitgeber unterstützen, anwaltliche Aufforderungsschreiben formulieren und im Falle eines Gerichtsverfahrens vertreten.
Bildquellennachweis: ollo | Canva.com